Tisa von der Schulenburg

Aus Wikipedia zur Industriegeschichte Dorsten

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Die Lehrerin antwortete: „ Du musst es lernen dich zusammen zunehmen. Von jetzt an bist du Luft für mich!“. Sie nahm mich nicht dran. Tage, Wochen, Monate. Und das in der Deutschstunde, die ich so liebte. Und das von der Lehrerin, die ich bewunderte, die uns alle begeisterte, Fräulein von Saenger. Wie konnte sie nur, mögen Pädagogen heute sagen. Die Qual dauerte fast ein Quartal. Ich saß still. Ich zappelte nicht mehr. Wenn ich mich auch meldete, sie übersah mich, sie hatte mich gezähmt.
Die Lehrerin antwortete: „ Du musst es lernen dich zusammen zunehmen. Von jetzt an bist du Luft für mich!“. Sie nahm mich nicht dran. Tage, Wochen, Monate. Und das in der Deutschstunde, die ich so liebte. Und das von der Lehrerin, die ich bewunderte, die uns alle begeisterte, Fräulein von Saenger. Wie konnte sie nur, mögen Pädagogen heute sagen. Die Qual dauerte fast ein Quartal. Ich saß still. Ich zappelte nicht mehr. Wenn ich mich auch meldete, sie übersah mich, sie hatte mich gezähmt.
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Bad Reichenhall
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=== Bad Reichenhall ===
Im Sommer 1917 erkrankte Tisa von der Schulenburg an Lungenentzündung. Heilung versprach sich ihre Mutter durch eine Kur in Bad Reichenhall, wo sie täglich drei Liter Ziegenmilch trinken musste. In Bad Reichenhall fing Tisa an, Scherenschnitte „en masse zu produzieren.“ Sie zeichnete auch, aber „mit der Schere fühlte sie sich sicherer“. Ende 1917 konnte sie ihre Schulausbildung in Heiligengrabe fortsetzten.
Im Sommer 1917 erkrankte Tisa von der Schulenburg an Lungenentzündung. Heilung versprach sich ihre Mutter durch eine Kur in Bad Reichenhall, wo sie täglich drei Liter Ziegenmilch trinken musste. In Bad Reichenhall fing Tisa an, Scherenschnitte „en masse zu produzieren.“ Sie zeichnete auch, aber „mit der Schere fühlte sie sich sicherer“. Ende 1917 konnte sie ihre Schulausbildung in Heiligengrabe fortsetzten.
Wieder in Heiligengrabe bemerkte Tisa Veränderungen bei sich. Sie berichtete:
Wieder in Heiligengrabe bemerkte Tisa Veränderungen bei sich. Sie berichtete:
„Eines Tages zog ich meine Freundin in den Schuhputzraum, ich müsse ihr etwas sagen. Was denn? Ich flüsterte ihr zu: Ich hab das Weib in mir entdeckt! Die Entdeckung bestand wohl hauptsächlich darin, dass ich wider Willen errötete. Das ich schwärmte. Dass ich mich für die Fotos der Brüder meiner Freundinnen interessierte. Blutjunge Soldaten, die irgendwo im Schlamm der Gräben lagen.“  
„Eines Tages zog ich meine Freundin in den Schuhputzraum, ich müsse ihr etwas sagen. Was denn? Ich flüsterte ihr zu: Ich hab das Weib in mir entdeckt! Die Entdeckung bestand wohl hauptsächlich darin, dass ich wider Willen errötete. Das ich schwärmte. Dass ich mich für die Fotos der Brüder meiner Freundinnen interessierte. Blutjunge Soldaten, die irgendwo im Schlamm der Gräben lagen.“  
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Scherenschnitte
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'''Scherenschnitte'''
Ihre Leidenschaft für Scherenschnitte setzte sie in Heiligengrabe fort. Häufig verzog sie sich mit ihrer Schere in eine tiefe Fensternische des Waschraums. Dort fühlte sie sich geschützt. Das war „ihr Reich“. Tisa von der Schulenburg beschloss zu dieser Zeit Künstlerin zu werden. Ihre Mutter war von diesem Wunsch sehr angetan und verabredete mit Max Liebermann in Berlin, den sie vorher gar nicht kannte, einen Vorstellungstermin.
Ihre Leidenschaft für Scherenschnitte setzte sie in Heiligengrabe fort. Häufig verzog sie sich mit ihrer Schere in eine tiefe Fensternische des Waschraums. Dort fühlte sie sich geschützt. Das war „ihr Reich“. Tisa von der Schulenburg beschloss zu dieser Zeit Künstlerin zu werden. Ihre Mutter war von diesem Wunsch sehr angetan und verabredete mit Max Liebermann in Berlin, den sie vorher gar nicht kannte, einen Vorstellungstermin.
Liebermann urteilte nach Betrachten der vorgelegten Scherenschnitte:
Liebermann urteilte nach Betrachten der vorgelegten Scherenschnitte:

Version vom 08:19, 3. Jan. 2016

Tisa von der Schulenburg wurde am 7. Dezember 1903 in Mecklenburg auf Gut Tressow geboren. Sie starb am 8. Februar 2001 in Dorsten.

Inhaltsverzeichnis

Familie

Tisas Vater

Tisas Vater, Friedrich Bernhard Graf von der Schulenburg (* 21. November 1865 in Bobitz; † 19. Mai 1939 in St. Blasien) war Offizier, Diplomat und Politiker (DNVP, NSDAP). Von der Schulenburg zählte zu den deutschnational und antisemitisch eingestellten, ostelbischen Adeligen in Deutschland. Er war vom gesellschaftlichen Führungsanspruch, insbesondere des Landadels, überzeugt. Von 1902 bis 1906 war Friedrich von der Schulenburg Militärattaché an der Deutschen Botschaft in London. 1916 wurde er Generalstabschef der Heeresgruppe „Deutscher Kronprinz“. Im Vorfeld des Novemberereignisse 1918 empfahl er einen von Kaiser Wilhelm geführten Marsch auf Berlin, mit dem Ziel, die Revolution mit Waffengewalt niederzuschlagen. Tisa berichtete über das Verhältnis zu ihrem Vater in der Jugend: (Ein konservativer Rebell, Seite 2, Ulrich Heinemann, 1990, Siedler Verlag, Berlin.): Wie er 1914 in den Krieg ging, war Fritzi 11, ich 10. Wir hatten wohl noch nie ein persönliches Wort miteinander gewechselt: strammstehen, ja und nein, guten Morgen, … Im ganzen Krieg haben wir Vater einen Tag und dann noch einen halben Tag gesehen. … Wir lernten also im Frühjahr 1919 meinen Vater kennen. Da waren wir mit unseren Interessen weit von ihm entfernt. Wir schwärmten … für Barlach, Kollwitz und Munch, für die französischen Impressionisten, für Alfred Weber.

Von 1924 bis 1928 saß Schulenburg als Abgeordneter der Deutschnationalen Volkspartei im Reichstag. 1931 trat er der NSDAP (Nr. 852947) und 1933 der SA bei. Seit 1933 war Schulenburg Abgeordneter für die NSDAP und wurde am 21. September 1934 Oberführer der SS. Am 20.4.39 wurde Schulenburg zum SS-Obergruppenführer befördert. Er starb am 19. Mai 1939. Auf seinem Begräbnis waren Adolf Hitler und Heinrich Himmler persönlich anwesend.

Tisas Mutter

Tisas Mutter, Freda-Marie Gräfin von der Schulenburg, geb. Gräfin von Arnim, lebte von 1873 – 1939. Sie selbst bezeichnete ihr Verhalten in ihrer Jugend als stürmisch, lebhaft und lebensfreudig. Freda-Marie von der Schulenburg war musisch veranlagt und hatte als Kind viele Jahre mit ihren Eltern in Italien und Ägypten verbracht. Für damalige Verhältnisse recht spät, heiratete sie mit 24 Jahren Friedrich von der Schulenburg. Tisa beschreibt ihre Mutter als „lebhaft, übersprudelnd an Vitalität und Lebenskraft“. Im ersten Weltkrieg oblag ihr die Führung des Gutshofes in Tressow. Tisa berichtet, dass ihre Mutter in dieser Zeit allseits geliebt und bewundert wurde. Wegen ihres sozialen Verhaltens sei sie als „rote Marie“ bezeichnet worden.

Tisas Geschwister

Tisa hatte fünf Brüder. Mit dem ein Jahr älteren Fritz-Dietlof, dem späteren Widerstandskämpfer, verband sie eine besonders innige Beziehung. Geschwister: • Johann Albrecht (1898–1944), Gutsbesitzer, Rittmeister • Wolf-Werner (1899–1944), SA-Brigadeführer, Oberstleutnant, Kommandeur des Fallschirmjägerregiments 13 • Adolf-Heinrich (1901–1940), SA-Obersturmführer • Fritz-Dietlof (1902–1944), Vizeoberpräsident der preußischen Provinz Schlesien, Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944 • Wilhelm (1914–1936). Wilhelm verunglückte mit dem Auto tödlich. Die Kinder wurden sehr streng erzogen. Dem Vater waren Werte wie Vaterlandsliebe, Pflichttreue, Zuverlässigkeit, Ehrenhaftigkeit und Treue zum Kaiserhaus, sehr wichtig.

Kindheit

Zu ihren Brüdern Fritz-Dietlof (Fritzi) und anfangs auch zu Adolf-Heinrich (Heini) hatte Tisa eine sehr enge Beziehung. Die Brüder spielten viel mit ihr und behandelten sie eher wie einen Jungen. Später berichtete Tisa, dass sie sich nicht erinnert, in dieser Zeit je mit anderen Mädchen oder mit Puppen gespielt zu haben. „Es hatte eine Zeit gegeben, wo wir drei Jüngsten, Heini, Fritzi und ich, unzertrennlich waren. Wir spielten gemeinsam im Kinderzimmer, wir ritten auf einem Schaukelpferd zu dritt, unsere Gitterbetten standen in Tressow zusammen.“ Die Erziehung durch die Eltern und ihre Gouvernante war auch geprägt durch körperliche Züchtigungen. So hatte sie mit acht Jahren vorgegeben, ihren Porridge aufgegessen zu haben, obwohl sie diesen weggeschüttet hatte, was von der Erzieherin bemerkt worden war. Um sich den erwarteten Schlägen des Vaters zu entziehen, schloss sie sich im Badezimmer ein. Ihre Brüder gaben nach einiger Zeit vor, der Vater sei weg. Nachdem Tisa daraufhin das Badezimmer verlassen hatte, zerrten die Brüder sie zum Vater, der sie über die Sesselarmlehne legte und mit der Reitpeitsche auf sie eindrosch. Der Forderung des Vaters, sich außerdem für ihr Verhalten zu entschuldigen, kam Tisa erst nach vier Wochen nach. Tisa erhielt bis zum achten Lebensjahr Privatunterricht durch eine Erzieherin, die allerdings keine pädagogische Ausbildung hatte und keine Lehrerlaubnis besaß. Nachdem dieses behördlicherseits bemängelt wurde, kam Tisa auf Kiersteinische Privatschule, wo sie sich zunächst als Außenseiterin sah. „Du bist wie ein Junge, sagte eine Klassenkameradin zu ihr. Meine Eltern wollen nicht, dass ich mit dir spiele!“ Rückblickend sah Tisa sich und ihre Brüder, als „Büchernarren“. Man stöberte in der reichhaltig ausgestatteten Bibliothek im Schloss Tressow und hatte so Zugang zur Literatur fast aller Genres.

Jugend

Tisa von der Schulenburgs war fast fünfzehn Jahre alt, als 1918 der erste Weltkrieg zu Ende ging. Eine Zeit voller Umbrüche und Unsicherheiten. Ihr Vater, zuletzt Generalstabschef der Heeresgruppe Deutscher Kronprinz, kam als gebrochener Mann zurück auf das Gut in Tressow und zog sich zurück. Ihre älteren Brüder jedoch verhielten sich wie typische Junker: elitär, konservativ, militaristisch und antidemokratisch. Tisas Gefühle waren ambivalent. Einerseits war sie ihren Geschwistern verbunden. Das schneidige Auftreten der Brüder, ihre Haltung, imponierte ihr, sie war irgendwie auch stolz auf sie. Andererseits schlug ihr Herz für die neuen Zeit: für mehr Demokratie und soziale Gerechtigkeit. .


Damenstift Heiligengrabe

Mit 14 Jahren, Ostern 1917, kam Tisa von der Schulenburg in das Stift Heiligengrabe, eine höhere Mädchenschule. Die Stiftsdamen waren angehalten, ihre Schützlinge, fast ausnahmslos Mädchen von Adeligen, zu kaisertreuen, jungen Frauen zu erziehen. Zitat Tisa: Der Kaiser hatte gewünscht, wir sollten so etwas wie „Seiner Majestät weibliche Kadetten“ sein. Dieser Anspruch erregte bei uns Spott und Widerwillen. Wir waren, so fand ich, eher Landsknechte. Als gegen Ende des ersten Weltkriegs die Schülerinnen im Stift sich über das kargere Essen beschwerten, antworte ihnen die Äbtissin: Und ihr wollt des Kaisers weibliche Kadetten sein? Die Lehrerinnen waren sehr streng. Auf Disziplin und Ordnung wurde viel Wert gelegt. In Elisabeths Heft „Ermahnungen für Eltern und Kinder“ stand: „Elisabeth muss ordentlicher werden. Elisabeth muss ihrem Temperament mehr Zügel anlegen.“ Weil Tisa von der Schulenburg im Unterricht wiederholt mit den Zöpfen des Mädchens vor ihr gespielt hatte, schlug die Lehrerin mit einem Lineal leicht auf ihre Finger. Nachdem Tisa gedankenverloren weiter mit den Haarenden, die ihr Pult berührten, spielte, musste sie den Klassenraum verlassen und auf dem Flur warten. Nach Stundenschluss wollte Tisa sich bei der Lehrerin für ihr Verhalten entschuldigen. Tisa erinnert sich: Die Lehrerin antwortete: „ Du musst es lernen dich zusammen zunehmen. Von jetzt an bist du Luft für mich!“. Sie nahm mich nicht dran. Tage, Wochen, Monate. Und das in der Deutschstunde, die ich so liebte. Und das von der Lehrerin, die ich bewunderte, die uns alle begeisterte, Fräulein von Saenger. Wie konnte sie nur, mögen Pädagogen heute sagen. Die Qual dauerte fast ein Quartal. Ich saß still. Ich zappelte nicht mehr. Wenn ich mich auch meldete, sie übersah mich, sie hatte mich gezähmt.

Bad Reichenhall

Im Sommer 1917 erkrankte Tisa von der Schulenburg an Lungenentzündung. Heilung versprach sich ihre Mutter durch eine Kur in Bad Reichenhall, wo sie täglich drei Liter Ziegenmilch trinken musste. In Bad Reichenhall fing Tisa an, Scherenschnitte „en masse zu produzieren.“ Sie zeichnete auch, aber „mit der Schere fühlte sie sich sicherer“. Ende 1917 konnte sie ihre Schulausbildung in Heiligengrabe fortsetzten. Wieder in Heiligengrabe bemerkte Tisa Veränderungen bei sich. Sie berichtete: „Eines Tages zog ich meine Freundin in den Schuhputzraum, ich müsse ihr etwas sagen. Was denn? Ich flüsterte ihr zu: Ich hab das Weib in mir entdeckt! Die Entdeckung bestand wohl hauptsächlich darin, dass ich wider Willen errötete. Das ich schwärmte. Dass ich mich für die Fotos der Brüder meiner Freundinnen interessierte. Blutjunge Soldaten, die irgendwo im Schlamm der Gräben lagen.“

Scherenschnitte Ihre Leidenschaft für Scherenschnitte setzte sie in Heiligengrabe fort. Häufig verzog sie sich mit ihrer Schere in eine tiefe Fensternische des Waschraums. Dort fühlte sie sich geschützt. Das war „ihr Reich“. Tisa von der Schulenburg beschloss zu dieser Zeit Künstlerin zu werden. Ihre Mutter war von diesem Wunsch sehr angetan und verabredete mit Max Liebermann in Berlin, den sie vorher gar nicht kannte, einen Vorstellungstermin. Liebermann urteilte nach Betrachten der vorgelegten Scherenschnitte: Hier ist Talent vorhanden, dem man alle Möglichkeiten der Ausbildung gewähren müsse. Ob es dem Talent gelingen möge, den normalisierenden Prozess einer Kunstschule zu widerstehen oder zu überstehen, das sei die Frage des Genies – darüber könne man vorher nichts sagen.

Nach der Novemberrevolution, Tisa war damals sechzehn, „revoltierten“ die Mädchen auch im Damenstift. Sie trugen kürzere Röcke, bekundeten, keine Unterröcke mehr tragen zu wollen und trennten die Abnäher ihrer Blusen auf. Die ganz Mutigen unter uns, trugen feuerrote Haarschleifen, um nur ja zu betonen, dass auch bei uns Revolution sei. 1919 beendete Tisa von der Schulenburg ihre Schulausbildung in Heiligengrabe.


Paul Althaus Nach dem Schulbesuch in Heiligengrabe pflegte Tisa von der Schulenburg ihre damals erkrankte Mutter, zeichnete und las viel. Sie besuchte eine Predigt von Peter Althaus und verliebte sich prompt in ihn - „den großen Prediger“. Althaus war ein weithin bekannter evangelischer Theologe, der völkische, nationalistische und antisemitische Positionen vertrat. Tisa suchte ihn in seiner Wohnung auf. Als Althaus junge Frau die Tür öffnete, habe sie sich „prompt entliebt“ und vorgegeben, religiöse Fragen zu haben.

Haushaltsschule in Lemgo 1921 ging Tisa von der Schulenburg zur Haushaltsschule nach Lemgo. Es war damals üblich, das Mädchen aus „besseren Kreisen“ nach der Schule Hauswirtschaft lernten. Viele heiraten danach.

Die Schulleitung „schrieb die jungen Frauen en bloc beim Deutschnationalen Jugendbund (DNJ) ein“, eine rechtskonservative Jugendorganisation. Tisa berichtete später, dass sie sich gleich bei der ersten Versammlung gemeldet und geäußert habe, dass sie und ihre Mitschülerinnen nicht aus Überzeugung dem Jugendbund beigetreten und auch nicht deutschnational seien.

Während eines Ausflugs zum Hermannsdenkmal trafen die Mädchen im Zug auf Artur Dinter, einen antisemitischen Schriftsteller, der u.a. „Die Sünde wider das Blut“ geschrieben hatte. Tisa erinnert sich später, dass sie das Gespräch mit Dinter unangenehm fand, sie mochte Dinter nicht. Bei einem Besuch in Bethel, sahen die Schülerinnen „hoffnungslos erkrankte Kinder“, Epileptiker und Schwerkranke. Die Schulleitung war der Auffassung, so etwas müsse man mal gesehen haben. Auf der Rückfahrt nach Lemgo ahmten die Mädchen die Bewegungen der Kranken nach, bis sie sich selbst verrückt vorkamen. Tisa von der Schulenburg hatte häufig Differenzen mit den Leiterinnen der Haushaltsschule. Sie verließ deshalb ein halbes Jahr später Lemgo.

Die „zwanziger Jahre“ Puppi Sarre Auf der Kiersteinschen Schule freundete sich Tisa von Schulenburg 1912 mit Puppi Sarre an. Später, Anfang der zwanziger Jahre, besuchte Tisa jährlich, jeweils für zwei Wochen, ihre Freundin Puppi in Neubabelsberg. Das Haus Sarre war nach dem Ersten Weltkrieg zu einem Treffpunkt der Berliner Oberschicht geworden. Puppis Mutter Maria war die Tochter des Archäologen und Ausgräbers von Pergamon Carl Humann und „unterhielt einen Salon“, einen Treffpunkt für Diskussionen, Lesungen, Musik und Geselligkeit der gehobenen Gesellschaft. Tisa war angetan von den vielen bedeutenden und interessanten Gästen bei Sarres. Um Puppi und ihre Schwester Irene scharte sich immer ein ganzer Kreis junger Männer; mit ihnen fuhren die jungen Frauen nach Berlin, besuchten Theater, Konzerte oder Vorträge. Bei Sarres verliebte ich mich ständig – das hielt dann für ein Jahr vor.

Heinz Biel Mit Anfang zwanzig, viele ihrer Freundinnen waren bereits verheiratet, kam sich Tisa von der Schulenburg wie ein sitzengebliebenes Mädchen vor. Doch dann verlobte sie sich 1924 mit Heinz Biel aus Zierow, einem Freund aus Kindertagen. Ein halbes Jahr später löste Biel die Verlobung. Für Tisa ein traumatisches Erlebnis.

Hugo Simon Bei Sarres lernte Tisa von der Schulenburg Hugo Simon kennen. Dieser lud Tisa in sein Haus ein: Sie kommen mir vor wie ein Vogel, der seinem Käfig entflohen ist. Lassen Sie mein Haus ein Käfig sein, der Ihnen Schutz bietet. Hugo Simon war ein bekannter Berliner Kunstmäzen und seit dem Jahre 1911 Mitinhaber des Bankhauses Bett, Simon & Co. Er trat bereits vor 1914 Mitglied der SPD bei und gehörte zu den entschiedenen Gegnern des ersten Weltkrieges, wurde Mitglied des „Bundes Neues Vaterland“ und unterstützte Karl Liebknecht. Nach der Novemberrevolution 1918 war er für kurze Zeit preußischer Finanzminister (13.11.1918 – 3.1.1919). Er beriet die SPD in Finanzfragen und beteiligte sich an der Gründung der gewerkschaftseigenen „Bank der Arbeiter, Angestellten und Beamten“. 1923 arbeitete Kurt Tucholsky in seinem Bankhaus zeitweise als sein persönlicher Sekretär. Das Haus Simon wurde für Tisa zur zweiten Heimat: Ich wohnte ganz in der Nähe. Ich konnte kommen und gehen, wann ich wollte, angemeldet, unangemeldet. Das Haus Hugo Simons in der Drakestraße in Berlin war zu jener Zeit Dreh- und Angelpunkt des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in Berlin. Alles, was Rang und Namen hatte in der deutschen Kultur, ging hier ein und aus. Politiker, Künstler, Wissenschaftler und Gelehrte, darunter Scheidemann, Paul Levi, Albert Einstein, Harry Graf Kessler und Max Liebermann. Die Schriftsteller Berthold Brecht, Heinrich und Thomas Mann, Else Lasker-Schüler, Arnold und Stefan Zweig, Joachim Ringelnatz, Erich Maria Remarque und Carl Zuckmayer waren ständige Gäste bei Hugo Simon. Dagegen trafen sich im Schloss bei den Schulenburgs (Tisa: „Der Hochschule für Politik“) deutschnational eingestellte, ostelbische Adelige und ehemalige Offiziere der alten Armee zu politischen Diskussionen. Gesprochen wurde u.a. über die Ursachen des verlorenen Krieges, die Wiederherstellung der Monarchie und die Notwendigkeit eines unabhängigen Berufsbeamtentums. Die jungen Männer, die bei uns zu Besuch erschienen, kamen, um meinen Vater zu sehen, an mir zeigten sie kein Interesse. … … auf den großen Landhochzeiten diverser Freundinnen und Cousinen machte ich die Erfahrung eines Mauerblümchens! Einen Abend lang stand ich Stunde um Stunde im Hause reicher Verwandter an der Wand. Keiner holte mich (zum Tanzen). … … „Weißt du, man hat vor dir Angst“, sagte mein Vetter Ulrich-Wilhelm Schwerin zu mir. Wieso? wollte ich wissen. „Ja man weiß nicht, wo man mit dir dran ist, mit deiner Kunst und so“. Das war es. Die Jünglinge, mit denen ich nicht über Kunst sprechen konnte, fand ich einfach barbarisch, die Jünglinge dagegen fanden mich wohl reichlich barbarisch. Im Berlin der zwanziger Jahre hingegen fühlte sich Tisa von der Schulenburg frei und verhielt sich sehr aufgeschlossen. Ich stürzte mich in das Berliner Leben wie in einen Strudel. … Zum erstenmal werde ich anerkannt. Männer, die mir imponieren, beachten mich. Dies schmeichelt mir. Es gibt mir Sicherheit. … Die Stadt erorbert mich. Der Strudel verschlingt mich. Alles, was mich bisher gehemmt und gehalten hat, werfe ich hinter mich. Religion, Tradition. Die kindischen Träumereien und Verliebtheiten weichen anderen Beziehungen. Ich bin in keiner Weise auf den Sex, auf seine Verlockungen vorbereitet. Auf diesen Bereich der Lust, den ich jetzt entdecke. … Wo das Leben am wildesten ist, scheint es mir am schönsten. Der Exzeß ist Trumpf. Hat sich ein Element der Rache eingeschlichen? Durch die Entlobung, die mich sehr getroffen hat? „Keiner soll mir den Laufpass geben“ ist mein Beschluss. Ich werde von einem zum anderen gehen, wenn ich es will. […] Meine Leidenschaft erschrickt mich.

Kunststudium 1926 schrieb sich Tisa von der Schulenburg an der Akademie der Künste in Berlin ein. Kunst zu studieren war immer ihr Herzenswunsch gewesen, aber ihr Vater war anfangs dagegen. Tisa war schon zweiundzwanzig, als ihr Vater endlich dem Studium zustimmte. Das Einvernehmen mit dem Vater benötigte sie, da er ihr die Ausbildung finanzieren sollte. Tisa besuchte die Bildhauerklasse bei Fritz Klimsch. Sie lernte, mit Ton zu modellieren und Akt zu zeichnen. Zusätzlich belegte sie Schnitzkurse bei Otto Hitzberger. 1927 ging Tisa von der Schulenburg für ein Semester nach Paris und lernte dort Charles Despiau und Henry Arnold kennen.

Ehe mit Fritz Hess Über Hugo Simon lernte Tisa von der Schulenburg 1926 Fritz Hess und seine Frau Stephanie kennen. Hess war 18 Jahre älter als Tisa, charmant, geistreich und ein erfolgreicher und vermögender Unternehmer. Er besaß eine kostbare Kunstsammlung, darunter auch mehrere Cezannes und Renoirs. Tisa war fasziniert von Fritz Hess: Hess war für mich in seiner Großzügigkeit und Güte, in seinem seltsamen Gemisch von körperlicher Kraft und seelischer Empfindsamkeit, ja Verletzlichkeit, die große Liebe, soweit ich in meiner Ichbezogenheit zu lieben vermochte. 1928 ließen sich Hugo und Stephanie Hess wegen Tisa scheiden. Am 31. Oktober 1928 heiratete Tisa Fritz Hess und zog in seine Villa in Berlin-Dahlem ein. Tisa von der Schulenburgs Familie war entsetzt. Tisas Ehemann war Jude, Pazifist und verkehrte in linken Kreisen. Dem Umstand, dass Tisas Mutter damit drohte, Schloss Tressow für den Fall zu verlassen, dass ihr Mann die Tochter verstößt, hat Tisa es zu verdanken, dass die Familie den Kontakt zu ihr nicht ganz abbrach. In Berlin erfuhr Tisa die Annehmlichkeiten einer reichen Unternehmersfrau und genoss das ganz so andere liberale, großstädtische und kulturelle Leben der zwanziger Jahre im Unterschied zum konservativen, aristokratischen Leben auf dem Gut Tressow. Nach dem „schwarzen Freitag“ 1929 kam auch Fritz Hess in finanzielle Schwierigkeiten. Das Haus wurde verkauft, die Gemäldesammlung versteigert und die elf Dienstboten mussten entlassen werden. Tisa nahm 1933 eine ältere Beziehung zu ihrem Jugendfreund C.U. von Barner wieder auf, entschied sich aber letztlich doch bei Hess zu bleiben. Nach der Machtergreifung von Hitler übersiedelte Fritz Hess im November 1933 nach England. Tisa folgte ihm im Frühjahr 1934 mit dem Sohn Edgar aus der ersten Ehe von Fritz Hess.

Tisa in England Tisa und Fritz Hess wohnten zunächst in London. In Walberswick, einem kleinem Ort an der Ostküste Englands, ließen sie sich ein kleines Wochenendhäuschen bauen. Walberswick war bekannt durch seine Künstlerkolonie, in der auch zeitweise Henry Moore lebte und arbeitete. Von Henry Moore war Tisa von der Schulenburg besonders beeindruckt: Die Zeichnungen fand er gut, die Plastiken nicht. Ich wusste es selbst. Ich kam mit den Plastiken nicht „herum“. Ich blieb beim Relief. Das Relief, eigentlich eine Zeichnung in Holz und Stein oder in Bronze, war meine Leidenschaft. Als ihr jüngerer Bruder Wilhelm 1936 mit dem Auto tödlich verunglückte, traf sie sich mit ihrer Mutter in Dänemark. Mit dem honduranischen Pass von Fritz Hess, auf dem auch sie registriert war, konnte sie nicht nach Deutschland reisen, um an der Beerdigung teilzunehmen. Tisa und ihre Mutter arbeiteten auf Jütland gemeinsam an einem kleinen Porträtkopf von ihrem verunglückten Bruder. Sie erfuhr, dass sich ihre Mutter „noch immer vom Nationalsozialismus das Schönste und beste erhofft“, während sie selbst den Nationalsozialismus verabscheute. Tisa von der Schulenburg beschloss, in der Folge ihr Leben zu ändern: Was ich so unter „ändern“ in jener Zeit verstand. Ich wollte es einer Idee widmen. Ich wollte heraus aus dem „Elfenbeineren Turm“. Wem konnte ich mich anschließen? Durch eine Ausstellung kam ich mit einer Künstlergruppe in Kontakt, die sehr aktiv war. Sie nannte sich Artists International Association, AIA. Sie waren Antifaschisten. Tisa engagierte sich in der AIA und wurde bald in den Vorstand gewählt. Die AIA war zu einem bedeutenden Teil ihres neuen Lebens geworden (Ich hab‘s gewagt, Seite 105, Tisa von der Schulenburg, Husum Verlag, 2014.): Öffnete sich durch die AIA für mich die Tür in das England, das ich suchte? Noch immer war mir, als striche ich in der Nacht um ein erleuchtetes Haus, ohne den Eingang zu finden. Immer noch entwurzelt! Kannte ich England. Ich kannte nur eine bestimmte Schicht, the upper middle class. Ich argumentierte, dass ich die soziale Leiter kennenlernen wollte – wie im Spiel Bäumchen wechseln: Kaiser, König, Edelmann, Bürger, Bauer, Bettler. Ich wollte heraus aus meiner „Enge“. Der Arbeiter war Held meiner Träume. Wie war sein Wesen? Wie lebte er, wohnte er? Ich sollte es erfahren.

Kohlenrevier Durham In den 1930er Jahren wurde von Künstlerorganisationen in angloamerikanischen Ländern dazu aufgerufen Arbeitern die Kunst nahezubringen. Tisa von der Schulenburg erhielt 1936 eine Einladung, Vorträge über Kunst vor Arbeitern im Norden Englands zu halten. Sie erlebte dort bitterste Armut. Viele Menschen waren arbeitslos; die Lebensbedingungen waren katastrophal. Ihr Vortrag über „Den Künstler und seine Umwelt“ traf zunächst auf Unverständnis bei den Männern in ihren abgetragenen Jacken und ausgefransten Schals. Ihre Erläuterungen zu Bildern von van Gogh und Millet fanden die Bergarbeiter sehr theoretisch (Noble Endeavours, Miranda Seymour, Seite 359, Verlag Simon und Schuster, London, Seite 359.): Tisa's first venture north was not a success. She had arrived with a sheaf of drawings of emaciated working men and their desolate wives, gleaned from the same magazines in which Hubert Herkomer's first works had appeared as a revelation to the young van Gogh. In audience of thirty men, muffled in frayed scarves and threadbare coats against the freezing cold of their communal hut (grandly known as the Social Club), examined the drawings in silence, and then handed them back. Someone, finally, observed that nothing much had changed for the working poor. The silence was resumed. Tisa, mortified and upset, resolved to persist - and to do better.

1937 fuhr Tisa ein zweites Mal nach Nordengland, in das Kohlenrevier Durham (Ich hab‘s gewagt, Seite 108, Tisa von der Schulenburg, Husum Verlag, 2014.):

Ich war in ein Settlement in Spennymoor, einer kleinen Bergarbeiterstadt, eingeladen. Ein „Settlement“ -eine Gemeinschaft von Intellektuellen, die sich in einem Arbeiterviertel ansiedeln und Kontakte suchen. Ein Haus mit einigen Leseräumen und Werkstätten. Nun dozierte sie nicht mehr über Kunst, sondern gab Schnitzkurse, was auf mehr Interesse bei den Arbeitern traf. Gleichwohl sahen auch hier die Menschen Tisa eher als eine exotische, adlige, deutsche Künstlerin in ihrem Pelzmantel und mit ihrem Perlenschmuck, die über die unveräußerlichen Rechte der Menschen sprach. (Noble Endeavours, Miranda Seymour, Seite 359, Verlag Simon und Schuster, London, 2013.). Tisa stopped showing grim prints and began, instead, to teach her newly acquired skill in carving wood. It was a breakthrough. Slowly, the Spennymoor men began to regard their German art teacher with cautious pride: they spoke of her as some sort of strange but exotic pet who appeared in pearls and furs to lecture them about the inalienable rights of the individual. Tisa's lessons in political theory bored them, however, and Tisa herself never understood why, when offered work in the south, the miners told her that they weren't talking it :"they said they’d rather stay at home and bear poverty”.

Obwohl es weder Frauen noch Ausländern gestattet war, Kohlengruben zu besichtigen, gelang es ihr schließlich doch, in Durhams Gruben einzufahren. Was Tisa dort sah, erschütterte sie: Es gab keine Waschkauen. Die Bergleute gingen, schwarz, wie sie waren, nach der Arbeit nach Hause. Der Ausbau war mangelhaft. An den Arbeitsorten standen die Männer teilweise bis zu dreißig Zentimeter im Wasser. Die Flöze waren niedrig. Die Arbeiten mussten z.T. in gebückter Haltung oder liegend ausgeführt werden. Jeder fünfte Bergmann verunglückte tödlich. In dieser Zeit entstanden eine Vielzahl von Tisas Zeichnungen über den Bergbau in Nordengland.

Scheidung Schon 1936 hatte Tisa von der Schulenburg Fritz Hess gebeten, einer Scheidung zuzustimmen. Sie sah kaum noch Gemeinsamkeiten. (Ich hab‘s gewagt, Seite 111, Tisa von der Schulenburg, Husum Verlag, 2014.) Ich fand mich im alten Netz meiner Triebhaftigkeit verstrickt. Ich war nicht frei, und ich kam nicht frei, meine Arbeit war mein einziger Halt. … Ich wandte mich nach links, er tendierte nach rechts, ich war im Widerspruch gegen ihn, gegen unser Leben. Tisa ließ sich psychoanalytisch behandeln, um die Ehe doch noch zu retten. Schon 1933/34 war sie in Berlin bei einer Psychoanalytikerin in Behandlung gewesen. 1938 willigte Fritz Hess in die Scheidung ein. Am 15. Oktober 1938 trennten sich Tisa und Fritz Hess. Drei Wochen später kam es zur Reichskristallnacht in Deutschland.

Rückkehr nach Deutschland Die Gefahr eines Kriegsausbruchs beunruhigte Tisa von der Schulenburg. Sie befürchtete, die jährlich zu erneuernde Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr zu erhalten. Nachdem Tisa von wiederholten Schlaganfällen ihrer Mutter erfahren hatte, beantragte sie bei der deutschen Botschaft einen Pass. Mittlerweile war auch ihr Vater schwer erkrankt. Am 27. April 1939, nach fast sechsmonatiger Wartezeit, erhielt sie ihren Pass und reiste nach Deutschland, um ihren sterbenskranken Vater zu besuchen.

Tod des Vaters Tisas Vater verstarb am 19. Mai 1939. Zum Staatsakt in Potsdam kamen Hitler und Himmler. Das Begräbnis in Tressow wurde maßgeblich von der SS organisiert. Tisa, die zu dieser Zeit bei ihrem Bruder Fritz-Dietlof in Berlin-Grunewald wohnte, nahm weder am Staatsakt, noch an der Beerdigung in Tressow teil. Offensichtlich war von Seiten ihrer Familie ihre Teilnahme, wegen ihrer allseits bekannten, kritischen Einstellung zur Partei und zur SS, nicht erwünscht. Tisa schrieb in ihren Veröffentlichungen, dass sie nach dem Tod ihres Vaters wieder nach England einreisen wollte, in London aber zurückgewiesen wurde. Sie vermutete, der Grund hierfür sei gewesen, dass die Engländer in ihr eine deutsche Spionin gesehen hätten. In einem Brief, zudem sie verfügte, dass dieser erst nach ihrem Tod veröffentlicht werden dürfe, hat Tisa von der Schulenburg andererseits dargelegt, dass sie gar nicht nach England zurück gereist sei. Vielmehr habe sie ihren Jugendfreund Carl Ulrich von Barner in Travemünde getroffen und sich wieder in ihn verliebt.

Ehe mit Carl Ulrich von Barner Am 1. September 1939, am Tag des Kriegsausbruchs, heirateten Tisa von der Schulenburg und C.U. von Barner. Noch am Abend wurde Barner eingezogen. Tisa zog auf das Gut ihres Mannes in Klein-Trebbow, zwanzig Kilometer südlich von Tressow.

Auf dem Gut in Klein-Trebbow Sie war nun die Gutsherrin. Zwar gab es einen Verwalter, der die fachlichen Angelegenheiten regelte, doch finanzielle und personelle Dinge oblagen ihr (Ich hab‘s gewagt, Seite 128, Tisa von der Schulenburg, Husum Verlag, 2014.) Das Ganze war völlig unwirklich. Ich kam mir vor, wie jemand, der auf einer Bühne steht und eine Rolle spielt: die Rolle der Gutsherrin. Ich befand mich im Geiste aber noch auf einer anderen Bühne. Die Zuschauer: meine deutschen jüdischen Freunde, die englischen Freunde, die Mitarbeiter aus der AIA, der Artists International Association. Da saßen sie im Parkett und beobachteten mich genau, wie ich mich benahm. Ob ich mich bewährte? Der Antifaschist? Das Mitglied des Komitees! Oder heulte ich mit den Wölfen? Als Anfang 1943 die Luftangriffe der Alliierten auf Berlin zunahmen, zog Tisas Schwägerin Charlotte, die Frau ihres Bruders Fritz-Dietlof, mit ihren fünf Kindern zu Tisa auf das Gut Trebbow. Dieser war nach seinem Kriegseinsatz 1942 nach Berlin berufen worden und dort in verschiedenen Ministerien tätig. Er besuchte in dieser Zeit seine Familie häufig an den Wochenenden.

Tisas Bruder – Fritz-Dietlof von der Schulenburg Tisas Bruder gehörte zum engsten Kreis der Widerstandskämpfer, die das Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 planten. Er wurde Am 10. August 1944 in Berlin-Plötzensee gehenkt. Fritz-Dietlof von der Schulenburg studierte Rechtswissenschaften in Göttingen und Marburg. Freunde schilderten ihn als jemand, der gleichzeitig wild und in sich gekehrt, realistisch und romantisch, wortkarg und mitteilsam, ernsthaft und spöttisch, auch mal aggressiv sein konnte. Einmal als richtig erkannten Prinzipien blieb er konsequent treu. Von Oktober 1928 bis September 1932 war Schulenburg als Assessor beim Kreis Recklinghausen tätig und trat in dieser Zeit in die NSDAP ein. Gleichwohl vertrat er in vielen Punkten von der Parteilinie abweichende Vorstellungen (Wikipedia): Von der Schulenburg verstand sich als Teil einer nationalen Elite, die sich in erster Linie durch die staatstragenden Säulen Militär und Berufsbeamtentum definierte. Bürger außerhalb dieser Strukturen waren für ihn bestenfalls „Zivilisten“ oder einfach nur der Mob. Allerdings verstand sich diese Elite als ein sehr patriarchales System, in dem Beamte und Militärs gleichzeitig auch die Aufgabe hatten, zum Wohle des Volkes zu agieren. Auf Grund dessen beschäftigte sich von der Schulenburg mit Themen wie der Agrarverschuldung und der Bodenreform. Seine Vorstellungen vom Bauernstand und von sozialer Gerechtigkeit brachten ihm bald den Titel „Roter Graf“ bei seinen Kollegen ein. Von der Schulenburg war beeindruckt von den politischen Ansichten des NS-Politikers Gregor Strassers. Strasser stand für den antikapitalistischen, sozialrevolutionären Kurs in der NSDAP, mit dem die Arbeiterschaft für die Partei gewonnen werden sollte. Er forderte die Verstaatlichung von Industrie und Banken und trat für ein bedingtes Streikrecht der Gewerkschaften ein. Nach dem Tod von Strasser im Zuge des sogenannten Röhm-Putsches im Juni 1934, kamen bei Fritz-Dietlof von der Schulenburg erste Zweifel an der nationalsozialistischen Idee auf. Sehr weit wichen Schulenburgs sozialpolitische Vorstellungen allerdings nicht von jenen der Partei ab. (Fritz-Dietlof von der Schulenburg, 1943, Denkschriftfragment, abgedruckt in „Ein konservativer Rebell“, Seite 227, Ulrich Heinemann, Siedler Verlag, 1990): Die Fürsorge für diejenigen, die dem Geschicke nicht gewachsen sind, ist die andere Aufgabe der Sozialpolitik. Hier sind wiederum zwei Gruppen von Menschen zu unterscheiden: 1) Das Gesindel, das weder Willen noch Können besitzt, das Leben zu meistern, das allen Einrichtungen feindlich gesinnt ist, jede Fürsorge ausnutzt, in der Not meutert und alle Lebensnöte der Allgemeinheit auflastet. 2) Die Lebensschwachen, denen natürliche Anlage oder ungesunde Lebensverhältnisse die Kraft und schließlich auch den Willen nehmen, für sich selbst zu sorgen. In dieser Lage befinden sich nicht nur die Dauerkranken, Irren und Krüppel, sondern auch der größte Teil der heutigen Arbeiterschaft, ja selbst des Mittelstandes, vor allem in den Industriegebieten. Ein Eingehen auf die Belange des Gesindels ist nicht erforderlich. Hier gilt nur eines: Der Staat muss die volle Schärfe des Gesetzes gegen sie zur Anwendung bringen: Den besten Erfolg versprechen schonungslose Maßnahmen. Dagegen ist die Frage nach dem Geschick des größten Teiles der Arbeiterschaft von ausschlaggebender Bedeutung für den Bestand des Ganzen. Die Politisierung der Fabrikarbeiter, ihr Interess für alternative und sozial gerechtere Gesellschaftsmodelle war für von der Schulenburg ganz wesentlich auf die schlechten Verhältnisse in den Arbeiterquartieren der Großstädte zurückzuführen. Dagegen setzte er völkische Agrar- und Dorfromantik und eine eher „mittelständische“ Wirtschaftsstruktur. Nachbarschaft und „Landschaft als soziale Grundeinheit“ stellte von der Schulenburg immer wieder als besondere gesellschaftliche Werte heraus. (Das preußische Erbe und der nationalsozialistische Staat, Vortrag von Fritz-Dietlof von der Schulenburg, März 1938, abgedruckt in „Ein konservativer Rebell“, Seite 204, Ulrich Heinemann, Siedler Verlag, 1990) Arbeiter, Bauernsöhne müssen mit dem Land verbunden, die Großstadtfrage gelöst werden. Wieder muss das letzte an Wirtschaftskraft aus dem eigenen Boden und allen seinen Kräften herausgeholt werden. Wieder fordert alles vom Staat Bewegung, stürmischen Willen, schöpferische Kraft. Wieder werden Beamte gefordert, die Pioniere, Schaffer, Schöpfer sind. Traditionell gingen die männlichen Schulenburgs, wie auch sein Vater und seine älteren Brüder zum Militär. Von der Schulenburgs Auffassung, dass die Eliten des Militärs, vielen anderen Gruppen der Gesellschaft intellektuell und von ihrem Verhalten her, überlegen seien, hat er sicherlich vom Elternhaus übernommen. Im Zuge seiner Referendarausbildung hat Fritz-Dietlof von der Schulenburg auch großen Respekt für das Verhalten der höheren Beamten gezeigt. (Das preußische Erbe und der nationalsozialistische Staat, Vortrag von Fritz-Dietlof von der Schulenburg, März 1938, abgedruckt in „Ein konservativer Rebell“, Seite 199, Ulrich Heinemann, Siedler Verlag, 1990): Im [ersten Welt-] Kriege war die Tragik, dass zwar die Grundkräfte im Heer zur äußersten Vollendung und Entfaltung gelangten, jedoch im Staate gebrochen waren. Das Heer führte den größten Kampf der Geschichte, kühn und schöpferisch allen - auch den verzweifeltesten Lagen - gegenüber. Die schöpferisch-politische Kraft der Staatsführung reichte jedoch nicht aus, um dem deutschen Volke klare Ziele zu geben und den Krieg in seiner ganzen Dauer auch zu einer Sache des Arbeiters zu machen. Da der Staatsverfassung die Kraft zu einer politisch klaren Führung fehlte, die alle Kräfte des Volkes einheitlich zusammengefasst hätte, glitten die Zügel in die Hand der Mehrheitsparteien und zuletzt des Marxismus, die im tiefsten Grunde unschöpferisch und destruktiv waren. Die Niederlage und [die] Revolution von 1918 waren die Folge. Hier zeigte sich am krassesten, dass es weder gelungen war, im Beamtentum, noch weniger aber in den Parlamenten, eine wirklich staatsführende Schicht heranzuzüchten. Die verwaltungsmäßigen Leistungen des Beamtentums jedoch brauchen deswegen nicht verkleinert zu werden. Der Staat hat im Kriege sachlich und organisatorisch Großes geleistet - im Ganzen sind immerhin die Ernährung und Rohstoffversorgung vier Jahre lang gemeistert worden. Der Führer hat dem Beamtentum des alten Reiches in seinem Buche »Mein Kampf« das schönste Denkmal gesetzt. Er spricht vom »unvergleichlichen Beamtenkörper des alten Reiches. Deutschland war das bestorganisierte Land der Welt. … Ebenso war das Beamtentum als Stand, als Lebensgemeinschaft eine lebendige Gemeinschaft von sauberen und hochstehenden Menschen. Dass nach der Machtübernahme Hitlers, das sogenannte „Bonzentum“ in der Partei und in den staatlichen Organisationen, immer mehr Einfluss gewann, betrachtete von der Schulenburg skeptisch. Als „Bonzen“ sah er vor allem Parteimitglieder, die ohne entsprechende Qualifikation zu Führungspositionen gekommen waren, ihren Aufgaben nicht gewachsen, sich aber korrupt und machtbesessen zeigten, statt der „reinen Idee“ zu folgen.

Widerstand und Umsturzpläne 1942 gewannen von der Schulenburg, wie auch andere Widerstandskämpfer, den Eindruck, dass der Krieg nicht mehr zu gewinnen sei und auch eine Reform des NS-Staates von innen immer unwahrscheinlicher würde. Fritz-Dietlof von der Schulenburg hatte bis dahin die geglaubt, dass man nach einem gewonnenen Krieg, insbesondere durch den Einfluss der aristokratischen und bürgerlichen Eliten, der NS-Willkür ein Ende setzen könnte. Von der Schulenburg war aufgrund seiner zahlreichen Kontakte ein wichtiger Verbindungsmann des Widerstands. Man zählte ihn zum sogenannten Grafenkreis um Peter Graf Yorck von Wartenburg, er nahm aber auch an Treffen des Kreisauer Kreises teil. Auch zu den sogenannten „Honoratioren“ um Carl Goerdeler unterhielt von der Schulenburg Kontakte. Tisa wusste zwar von den Umsturzplänen, konkretes erfuhr sie von ihrem Bruder jedoch nicht. Über Ostern 1944 hielten sich Stauffenberg und ihr Bruder Fritz-Dietlof in Trebbow auf. Nach dem missglückten Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde Fritz-Dietlof von der Schulenburg verhaftet und später hingerichtet.

Kriegsende und Scheidung Vor den herannahenden sowjetischen Truppen flüchteten Tisa von der Schulenburg, ihre Schwägerin Charlotte und deren sechs Kinder zunächst nach Schleswig-Holstein zu Verwandten ihres Mannes. Einen Tag darauf fuhr Tisa dann allein zurück nach Trebbow. Als erstes erreichten dann aber doch nicht sowjetische, sondern amerikanische Soldaten das Gut Klein-Trebbow. Tisa gelang es, sich mit den Besatzungssoldaten zu arrangieren. Sie durfte ihr Zimmer im Gutshaus zunächst weiter bewohnen. In jener Zeit entwickelte sie Aversionen gegenüber deutschen Männern, die sich bis zum Hass steigerten: Ich war dem Hass ausgeliefert. Den Dämonen des Hasses. In jedem deutschen Mann, der mir nicht als Antinazi bekannt war, sah ich einen potenziellen Mörder. Fritzis Mörder. Mörder der vielen Juden. Der Hass brachte Härte und Wildheit im Gefolge. Die hemmungslose Sexualität war wieder durchgebrochen. Wie ein Schiff, dessen Steuer versagt, war ich in die unheimlichen Monate des Endes geraten wie in den Strudel eines Taifuns. Nach der ersten amerikanischen Besatzungseinheit kam eine zweite, die Tisa aufforderte, sich ein Quartier im Pferdestall zu suchen. Gleichwohl halfen die Soldaten Tisa von der Schulenburg, einen alten Wehrmachtsfunkwagen zu organisieren und als „Wohnmobil“ mit Schlafpritsche und Kohlenofen auszubauen. Die nächste Zeit verbrachte Tisa von der Schulenburg dann in ihrem Funkwagen am Trebbower See, bis sie erfuhr, das Trebbow an die Russen übergeben würde. Am 30. Juni 1945 fuhr sie dann vor den herannahenden russischen Soldaten mit ihrem Gefährt nach Travemünde zu Verwandten. Im Oktober 1945 kehrte C.U. von Barner aus dem Krieg zurück. Tisa von der Schulenburg offenbarte ihm ihre Seitensprünge während des Krieges. Die Ehe wurde daraufhin geschieden. Nach einer kurzzeitigen Beschäftigung als Sekretärin bei der britischen Militärverwaltung in Lübeck, zog Tisa nach Glinde bei Hamburg, wo sie als sogenannte Wohlfahrtspflegerin in einem großen englischen Militärdepot Arbeit fand.

Mitarbeiterin bei „DIE WELT“ Martin Beheim-Schwarzbach, der in London mit ihrem ersten Mann, Fritz Hess, oft Schach gespielt hatte und nun für die britische Militärregierung u.a. die Redaktion der Zeitschrift „Die Welt“ betreute, vermittelte im Sommer 1947 Tisa von der Schulenburg eine Stelle bei der „WELT“ als freie Mitarbeiterin. Es war ihr Vorschlag, für die „WELT“ über das Ruhgebiet und den Bergbau zu recherchieren und zu schreiben, dem die Redaktion dann auch folgte. Dazu suchte sie die neugegründete Redaktionsfiliale in Essen auf, wo man sie mit Fritz Lange, dem Direktor der Vorzeigezeche „Hannover-Hannibal“ in Bochum bekanntmachte. Dort erhielt sie ein Zimmer im Verwaltungsgebäude, da Hotelzimmer kaum verfügbar waren.

Bergbau im Ruhrgebiet Schnell freundete sich Tisa mit Bernhard Goohsens an, dem Betriebsratsvorsitzenden der Zeche Hannover und späteren Geschäftsstellenleiters des Industrieverbands Bergbau (Vorgängerorganisation der IG Bergbau). Dieser nahm sie häufig zu Grubenbesichtigungen (Befahrungen) auf andere Zechen mit, so dass Tisa einen guten Überblick über den Ruhrbergbau erhielt. Im Gegensatz zu Durham fand sie hier sehr viel modernere Betriebe vor, mit durchweg besseren Arbeitsbedingungen als in England. Ihre Versuche, in Kontakt zu kommen mit den Bergarbeitern und ihnen Schnitzkurse zu geben, scheiterten vor allem wegen der ihr entgegengebrachten Skepsis. Auch hatte Tisa den Eindruck, dass die englische Militärregierung, der der Bergbau zu jener Zeit unterstand, sie verdächtigte, eine Kommunistin zu sein. Die Kommunisten anderseits hielten sie für eine englische Spionin. Tisa sah sich zwischen allen Stühlen und begann wieder einmal, ihr Leben und die gesellschaftlichen Umstände zu reflektieren (Ich hab‘s gewagt, Seite 208, Tisa von der Schulenburg, Husum Verlag, 2014.):

Auch in den Menschen und in ihren Beziehungen untereinander traten in dem unbarmherzigen Licht dieser traditionslosen Welt Hass, Gier, Zorn, Neid greller zutage als im Norden. Die materielle Lage der Bergarbeiter war damals gesichert, besser als die der anderen Berufe; ihr geistiges Elend aber bedrückte mich. Hier sah ich meine „Schuld", unsere Schuld, die Schuld der Gebildeten. Mir war, als ob man ihnen Steine statt Brot reichte. Was war das alles wert, was wir ihnen weiterreichten? Unsere Bildung, unser Wissen, Zeitung, Radio, Film, Theater, Kunstausstellungen, kurz die Früchte der Zivilisation - waren sie nicht schal und hohl? Im Grunde erfüllte auch die Arbeiter diese Leere, dieses „Grau", diese Trostlosigkeit, die mich umklammert hielt. Sie bauten umso fester an den Schutzwällen, die der Mensch gegen das Nichts errichtet - oder - gegen den Untergang in der Vermassung.

Haus, Garten, Verein, Partei. 

Die Vereine? Die Gewerkschaften? Sie waren nicht um der Gemeinschaft willen, sondern um ihrer selbst willen da, schien es mir. Der eine bekämpfte den anderen; von Drahtziehern des Hasses und der Missgunst gelenkt, erschöpften sie sich in kleinlichen Treibereien. Und ich geriet dazwischen wie ein Blinder unter Blinden. In diesen Tagen entschloss sich Tisa von der Schulenburg, katholisch zu werden. Sie beriet sich mit katholischen ehemaligen Freunden ihres Bruders Fritz-Dietlof in Recklinghausen, die ihr empfahlen, sich an Pastor Westhoff, einem angesehenen Pfarrer in Dorsten zu wenden. Dieser wiederum machte Tisa mit Schwester Petra Brüning bekannt, langjährige Oberin des benachbarten St. Ursulakloster. Ostern 1949 wurde Tisa in die katholische Kirche aufgenommen.

Im Kloster Am 14. September 1950 trat Tisa von der Schulenburg in das Kloster St. Ursula ein. Ostern 1951 wurde sie Novizin. Sie bekam den Ordensnamen Paula (abgeleitet von Paulus). Erst an der Realschule und später am St. Ursula Gymnasium gab Tisa Zeichenunterricht. Doch Unterrichten war nicht ihre Profession (Ich hab‘s gewagt, Seite 226, Tisa von der Schulenburg, Husum Verlag, 2014.): Manchmal gelang ein Stunde, häufig ging sie daneben und endete mit einem wilden Durcheinander von verschüttetem Malwasser, von verschmierten Tischen und verklecksten Blättern. Eine Art Gemeinschaftssturz, würde man sagen. Ich war von den talentierten Kindern und von ihren Arbeiten begeistert. Wie sollte ich mich zu den weniger Talentierten verhalten? Indem ich allen viel zu gute Noten gab. Der Kunstgeschichtsunterricht war noch schlimmer. Es war mir zuwider, Kunst zerreden und zerlegen zu müssen. Der Unterricht gelang nur mit einem großen Aufwand an Energie, so wurde er naturgemäß von Jahr zu Jahr schlechter. Mit sechzig wurde Tisa vom Unterricht freigestellt. Inzwischen hatte sie immer öfters Aufträge erhalten, Plastiken und Reliefs anzufertigen, so blieb für den Schulunterricht kaum noch Zeit. Beauftragt wurde sie vor allem von öffentlichen Einrichtungen, Kirchen, Firmen und Organisationen im Umfeld des Bergbaus, sowie der Sparkasse Recklinghausen. Leiter der Kreissparkasse in Recklinghausen war damals Ludwig Poullain, der spätere Vorstandsvorsitzendender der WestLB. Mit Tisa von der Schulenburg freundete sich Poullain 1959 an (Tisa Schulenburg, Seite 35,Verlag Aurel Bongers, Recklinghausen, 1983.): ... ich glaube es war im Jahre 1959, an die Klosterpforte der Ursulinen in Dorsten klopfte. Den Anlass hierzu gab mir, dass die Kreissparkasse in Recklinghausen, der ich damals vorstand, dabei war, die letzte Baulücke am Marktplatz in Dorsten mit einem neuen Haus für die Zweigstelle zu schließen. Dem Architekten Manfred Ludes war von der Absicht des damaligen, recht barock denkenden Bürgermeisters Kenntnis geworden, dass der auf seine Weise den Marktplatz vollenden wollte: Dort, wo früher eine Pferdetränke gestanden hatte - und dies war genau vor dem Eingang des neuen Bankhauses - sollte ein monumentaler Brunnen entstehen. Und da solches nun partout nicht in das Konzept des Architekten passte, fragte er mich, ob wir nicht das Unheil verhindern und dem Rat der Stadt vorschlagen sollten, dass die Sparkasse der Stadt den Brunnen schenken würde, wenn, ja wenn diese sich damit einverstanden erklären würde, dass die Spender Gesicht und Form des Brunnens bestimmen könnten. Aber wer könnte denn wohl da unseren Gedanken aufgreifen und ihn gestalten wollen, und können? »Da sitzt in Dorsten eine bildhauernde Klosterfrau«, sagte mir Sepp Borchmeyer, als ich ihm von unseren Absichten berichtete. Und er erzählte mir ihre Geschichte und auch, wie sie, einstmals eine Evangelische, konvertiert und danach ins Kloster eingetreten war.

Ehrenbürgerin 1972 hat die Stadt Dorsten Tisa von der Schulenburg zur Ehrenbürgerin ernannt. Die Laudatio dazu hielt Ludwig Poullain: Deine alten Freunde waren damals sicher, als Du in das Refugium einzogst, dass Du temperamentvolles Menschenkind ein solches Leben zu führen nicht fähig seiest. Sie sahen Dich spätestens nach ein zwei Monden stabhoch das Gemäuer überspringen - sie irrten sich. Nicht dass Du Dein Temperament verloren hättest - es sprießt und treibt Blüten wie einst und je - nur, Du beherrschst die Kunst, es zu zügeln - wenn dies auch nicht selten recht mühsam erscheint.

Tisa von der Schulenburg starb am 8. Februar 2001 in Dorsten.

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